Liebes Costa Rica,
am Sonntag hast Du, zusammen mit den anderen mittelamerikanischen Ländern, deinen 203. Unabhängigkeitstag gefeiert. Herzlichen Glückwunsch!
Seit zwei Monaten dürfen wir nun bei Dir wohnen und leben. Auch wenn wir einige deiner Straßenverkehrsregeln und so manchen bürokratischen Irrgarten immer noch nicht ganz verstanden haben, leben wir sehr gerne hier. Abgesehen von einer umwerfend schönen und artenreichsten Natur der Welt, hast Du nämlich auch noch ein paar Vorzüge zu bieten, an denen sich das Land, in dem wir früher gelebt haben, gerne ein Beispiel nehmen dürfte.
Da ist zunächst natürlich die Offenheit, Freundlichkeit, Toleranz und Gelassenheit deiner Bewohnerinnen und Bewohner. Gutmensch ist kein Schimpfwort. Die Hautfarbe spielt hier keine besondere Rolle, wer möchte darf sich vegan ernähren und wer will kann sogar gendern und wird nicht dafür bestraft. Man darf hier anders sein oder sich verhalten, man darf sogar Fehler machen, ohne von irgendwelchen dummbratzigen Rüpeln beschimpft oder bedroht zu werden.
Klimaschutz, Ökologie, Dekarbonisierung, Elektromobilität, Tempolimit sind bei Dir keine Kampfbegriffe bei denen Teile der Bevölkerung Schnappatmung bekommen, sondern eine weitgehend gelebte Selbstverständlichkeit. Bei Dir gibt es 26 Nationalparks und rund 30% des Landes stehen unter Naturschutz. Deine Wälder schrumpfen nicht mehr, sondern wachsen wieder. Du beziehst deine Energie beinahe zu 100% aus regenerativen Energiequellen und giltst damit für viele Länder der Erde als Vorbild. Gut, ein paar Bereiche wären da noch, da könnte man vielleicht nochmal ernsthaft dran arbeiten. Verkehr, Müll, Pestizide…
Du verzichtest auf eine Armee und das schon seit 75 Jahren. Das ist so einmalig wie bemerkenswert in dieser Region. Die Geschichte der Armeen in Lateinamerika der letzten 75 Jahre ist keine gute Geschichte.
Natürlich knirscht und knackt es auch bei Dir gelegentlich im gesellschaftlichen Umgang miteinander. Nicht alle Menschen sind immer und ausnahmslos gut. Auch hier gibt es schlechte Menschen, ungeheuerliche Verbrechen, bis hin zu Morden. Und, auch wenn wir noch nicht alles richtig verstehen, in deinem demokratischen, politischen System scheint es an der einen oder anderen Stelle doch auch ein paar Punkte zu geben, die wahrlich nicht schön aussehen. Wir vermuten, „da ist noch Luft nach oben.“ Dennoch: Meinungs- und Pressefreiheit sind weiterentwickelt als bei den meisten deiner Nachbarn und darüber hinaus. Sowohl dein Gesundheits- als auch dein Bildungssystem brauchen internationale Vergleiche nicht zu scheuen. Du erntest Anerkennung in der Welt für den Zustand deiner Demokratie. Rassistische, ausländerfeindliche, dumpfe Horden marodierender Rechtsextremisten gibt es auf deinen Straßen nicht. Auch nicht in deinem Parlament.
Du verstehst Dich als Einwanderungsland. Du verstehst Migration nicht als Hindernis, sondern als Chance. Du verstehst Migrant*innen zuerst als Menschen und nicht ausschließlich als Problem. Gibt es dennoch Probleme, konstruierst Du keine künstliche Migrationskrise, sondern versuchst Lösungen zu finden. Vielfalt wird nicht als Bedrohung empfunden, sondern ist ganz normaler, gelebter Alltag, miteinander und solidarisch. Deine Gesellschaft redet nicht nur von Integration, sie integriert, wenn auch mit gelegentlichen Vorbehalten, so doch mit der notwendigen Akzeptanz, Toleranz und Offenheit. Deine Politik versucht Illegalität zu verhindern, indem sie Regeln aufstellt, deren Einhaltung auch möglich ist, auch wenn sie für unsere europäischen Köpfe manchmal etwas anstrengend sind.
Insgesamt bist Du nicht nur ein wunderschönes, sondern auch ein lebens- und liebenswertes Land. Danke, dass wir bei Dir leben dürfen! Und pass auf Dich auf!
Pura vida!